Es gibt eine Legende, die mich immer wieder zum Schmunzeln bringt. Sie besagt, dass sich irgendwann im 19. Jahrhundert fromme Christen aus Württemberg mit frommen Christen aus dem ostwestfälischen Herford getroffen haben. Man betete, man tauschte sich aus, es muss ein geistlich-fröhliches Treffen gewesen sein. Man war sich ziemlich einig über Gott und die Welt und erfreute sich an der geistlichen Gemeinschaft. Aber dann, nach einiger Zeit stellte man fest: Die jeweils andere Gruppe ist der Sünde verfallen! Was war passiert?
Die Christen aus Württemberg tranken doch tatsächlich Wein – schließlich kamen sie aus einem klassischen Weinanbaugebiet. Alkohol war in den Augen einiger Herforder dagegen ein Teufelszeug, es gab Organisationen, die sich für den Verzicht auf Alkohol einsetzten. Wie konnten diese frommen Menschen Wein trinken?
Und die Herforder erst! Die rauchten Zigarren, was das Zeug hält. Zeitweise kam im 19. Jahrhundert jede dritte deutsche Zigarre aus Herford. Aber das Tabakrauchen war in den Augen einiger Württemberger ein Teufelszeug, man setzte sich für den Verzicht auf Tabak ein. Wie konnte diese frommen Menschen Zigarren rauchen?
Man ging ratlos auseinander, über weitere Treffen dieser beiden Gruppen ist nichts bekannt. Der Wahrheitsgehalt dieser Erzählung ist schwer zu bestimmen, aber bei einer guten Legende zählt ja vor allem: Es ist schon denkbar, dass es sich so zugetragen hat.
“Alles ist mir erlaubt, aber nicht alles dient zum Guten. Alles ist mir erlaubt, aber nichts soll Macht haben über mich.” Dieser Vers nimmt uns als Menschen ernst. Nicht alles dient zum Guten, vor allem soll nichts Macht haben über mich – und umgekehrt gibt es viel Spielraum, wie ich mich verhalten kann. Ich bin selbst verantwortlich dafür zu überlegen, was zum Guten dient, was ich mir erlaube. Und so können sich zwei ausgesprochen fromme Menschen mit einem tiefen Glauben treffen und sich doch über Kleinigkeiten und Alltäglichkeiten fürchterlich streiten.
Es wird für den Streit zwischen Herfordern und Württembergern kaum eine echte Lösung gegeben haben. Aber es hilft sicherlich, den Monatsspruch ernst zu nehmen: Nicht alles dient zum Guten, nichts soll Macht über mich haben – und umgekehrt entscheide ich selbst, was ich mir erlaube. Hätten sich Herforder und Württemberger also besser wieder auf ihr gemeinsames Gebet, auf ihren gemeinsamen Glauben an Christus besonnen. Hätten sie sich also darauf besonnen, was wirklich Macht über sie hat – und nicht darauf, was die anderen sich selbst erlauben…
Vikar Mathias Litzenburger