SO KLINGT PAUL-GERHARDT – Die Schatztruhe der traditionellen Musik

Musik ist eine Sprache, heißt es oft. Ich widerspreche: Musik ist ein Oberbegriff über viele Sprachen, denen gemeinsam ist, dass sie mit Klängen sprechen, die direkt das Herz treffen können, mehr als dies alle Wort-Sprachen vermögen.
Wozu diese wortlose oder überwörtliche Sprache?

In den Gottesdiensten unserer Kultur findet die Musik hauptsächlich in der vertikalen Kommunikation zwischen Gott und dem Menschen Gebrauch. In zwei Richtungen kann und soll sie also wirksam werden: Nach oben zu Gott wollen wir als Menschen unsere Haltungen ausdrücken, die so vielfältig sind: von Trauer, Schmerz, Fragen, Klagen, Schreien, Sehnen zu Vertrauen, Hoffnung, Ruhe, Frieden, Lob, Begeisterung, Dankbarkeit etc. Im Gegenzug das Sprechen des allmächtigen Gottes, sein Zuspruch, sein Anspruch, sein Antworten hin zu uns Menschen.

Musik kann diese Transzendenz bewirken, sie kann die Brücke schlagen zwischen der göttlichen und der weltlichen Welt: Sie kann unsere Worte verstärken, unserem Stammeln aushelfen, wo jedes Wort zu kurz, zu oberflächlich, zu flach erscheint. Andersherum vermag sie zu unterstützen, dass all die göttlichen Zusagen nicht im Kopf stecken bleiben, sondern für das Leben nährend, heilsam oder auch herausfordernd empfangen werden können.

Welch gewaltige, welch wichtige Aufgabe! Wie gut, dass wir so einen Reichtum an verschiedenen überlieferten Musiken aus vielen Jahrhunderten zu Verfügung haben! Wenn ich zum Beispiel nachempfinde, wie vielfältig die schlichte Bitte um den Frieden Gottes Dona nobis pacem! vertont wird, bekomme ich jedes Mal eine neue Nuance dieses Gebetes, mit der ich mich in Beziehung setzen kann, vermittelt: von Rossini lautstark, fast geschrien, von Bach geduldig wartend, von Mozart hoffnungsfroh, etc. Ich bin begeistert ob dieser Fülle und könnte noch ewig weiterschwärmen!

Die traditionelle Kirchenmusik ist mir aber auch noch aus ganz praktischen Gründen wichtig:

  • Musikalisch gestaltete Gottesdienste sind attraktiv.
  • Es kommen Menschen aller Generationen zusammen, um miteinander zu musizieren.
  • Traditionelle Kirchenmusik bringt musikalisches und inhaltliches Schwarzbrot, allein schon dadurch, dass sie den Filter der Geschichte durchlaufen ist.
  • Es gibt ein kirchen- und gemeindeübergreifendes Liedgut, was gemeinsames Singen erleichtert.

Als Kirche mit einer zweitausendjährigen Geschichte sollten wir den Schatz unserer Vorväter bewahren, wie es auch der jüdischen Tradition seit jeher entspricht. Traditionelle Musik trägt zu einem hohen Maße dazu bei. Und ja, natürlich darf und muss jede Generation darauf aufbauend auch ihren eigenen Ausdruck finden!

Mirjam v. Kirschten
ist Konzertpianistin, Klavierpädagogin und Sängerin der Schola Augiensis

Weitere Artikel zu diesem Thema finden Sie auch in unserem Gemeindebrief Frühjahr 2022.