ZUHÖREN – Was wir sagen, wenn wir reden. Und: was wir hören, wenn wir hören

Hömma – im Ruhrgebiet ein Wort für jede Lebenslage. Mit einem klaren Hömma verschafft man sich Aufmerksamkeit, ist es doch die Kurzform für Hör mal und meint: Hör mir jetzt mal zu, ich habe dir etwas zu sagen.
Der Anfang ist mit einem Hömma gemacht, aber dadurch ist noch lange nicht gesichert, ob die eigene Botschaft auch wirklich ankommt. Denn was auch immer dann folgt, muss auch erst einmal gehört werden.

Missverständnisse zwischen Menschen sind so alt wie die Sprache selbst. Woran das liegt, hat vor eini-gen Jahrzehnten der Kommunikationspsychologe Friedemann Schulz von Thun erforscht. Sein Ergebnis war das weithin anerkannte Vier-Seiten-Modell einer Nachricht. Nach diesem Modell hat – wie der Name schon deutlich macht – jede Nachricht vier Seiten. Also ganz gleich, was ein Mensch sagt: Er sagt es immer auf vier verschiedenen Ebenen. Jede Nachricht hat laut Schulz von Thun eine Sachinformation, eine Selbstaussage, einen Beziehungsaspekt und einen Appell.

Das klassische Beispiel ist dabei eine Unterhaltung im Auto. Zwei Menschen stehen an einer roten Ampel, die gera-de auf grün schaltet. Der Beifahrer sagt: Die Ampel ist grün. Darauf reagiert die Person am Lenkrad genervt: Fährst du oder fahre ich? Im Hinweis auf die grüne Ampel schwingt mehr mit als die Information, dass die Ampel nun grün ist. Warum sollte ein Beifahrer so etwas sagen, wenn er nicht auch einen Appell damit verbinden würde: Fahr doch jetzt bitte weiter. Dabei sagt er vielleicht auch über sich selbst aus, dass er gerne weiterfahren möchte, ja vielleicht ungeduldig ist. Und womöglich zeigt er auf der Beziehungsebene, dass er sich selbst überlegen fühlt und ein Kommando geben kann. Und so hört die Person am Lenkrad nicht nur die Sachinformation, dass die Ampel grün ist, sondern reagiert gereizt, weil sie das Drängeln und die vermeintliche Überlegenheit des Beifahrers wahrnimmt.

Die vier Seiten einer Nachricht sind zumeist unterschiedlich ausgeprägt und manchmal unbewusst geäußert. Wenn mir ein Kollege erzählt, dass er Hunger bekomme, dann ist dort viel Selbstoffenbarung enthalten. Er benötigt bald etwas zu essen und würde z.B. gerne Pause machen. Wenn mir meine Kinder erzählen, dass sie Hunger haben, ist dort auch viel Selbstoffenbarung enthalten – aber auch der Appell: Kümmere dich darum, dass es bald etwas gibt. Weil die Beziehungsebene eine andere ist, verändern sich auch die anderen Seiten der Nachricht. Und die Beziehungsebene wird besonders wichtig, wenn jemand Kritik äußert. Dann kann sich an dieser Ebene entscheiden, ob ich bereit bin, die Kritik anzunehmen oder direkt mit den Augen rolle.

Zuhören ist also eine Kunst, die nicht nur unsere Aufmerksamkeit auf das Gegenüber fordert. Zuhören heißt nicht nur, wirklich hinzuhören und nicht mit den Gedanken abzuschwei-fen. Sondern zuhören heißt dann auch: Zu hinterfragen, wie ich gerade zuhöre. Mit welchem Ohr ich zuhöre, welche Seite der Nachricht gerade bei mir ankommt. Und zu hinterfragen, ob diese Seite angemessen ist. Um beim Beispiel zu bleiben: Wenn mir ein Kollege sagt, dass er Hunger bekomme, wäre es recht seltsam, wenn ich aufspringen und kochen würde. Dann sollte ich nochmal überlegen, ob ich auf der angemessenen Seite mitgehört habe.

Besonders herausfordernd wird das richtige Zuhören, wenn sprachliche oder kulturelle Unterschiede zwischen zwei Personen stehen. Als Münchner könnte ich mich bei einer schroffen Reaktion im Ruhrgebiet verärgert fühlen, auch wenn die Aussage nicht so gemeint war, weil Sprache dort anders funktioniert. Und dann gilt es, besonders genau hinzuhören und von einem Hömma nicht abgeschreckt zu sein.

Schulz von Thun fordert uns auf: Versuche, mit allen Ohren hinzuhören – und sei dir deiner verschiedenen Oh-ren bewusst.

Mathias Litzenburger

Artikel aus dem Gemeindebrief Herbst 2025, dort finden Sie auch weitere Artikel zu dem Thema.