Demokratie in der Kirche: Der Kirchenvorstand

Was ist denn eigentlich ein Kirchenvorstand (KV) und was macht er? Vielleicht fragt sich der eine oder die andere von Ihnen das, wenn in diesen Tagen und Wochen die Briefwahlunterlagen zur Kirchenvorstandswahl am 20. Oktober in Ihrem Briefkasten landen.

Laut Kirchengemeindeordnung der Evang.- Luth. Kirche in Bayern hat jede Kirchengemeinde einen KV, in dem Pfarrer und Pfarrerinnen, Kirchenvorsteher und Kirchenvorsteherinnen bei der Leitung der Kirchengemeinde zusammenwirken, in Verantwortung füreinander im Dienst an der Gemeinde stehen und sich darin gegenseitig unterstützen.

Die Größe des Kirchenvorstands hängt von der Gemeindegliederzahl ab – in Paul-Gerhardt werden derzeit 9 Personen gewählt und zusätzlich noch 3 weitere nachberufen. Die Inhaber der Pfarrstellen sind als geborene Mitglieder den gewählten Kirchenvorstehern gleichgestellt. Den Vorsitz im KV muss dabei nicht unbedingt der geschäftsführende Pfarrer haben. Der Vertrauensmann bzw. die Vertrauensfrau bereitet mit dem/der Vorsitzenden die Sitzungen vor und ist dabei Ansprechperson für Fragen und Anliegen aus der Gemeinde und aus dem Gremium.

Ist der KV nun eine besonders elitäre Clique, die das Gemeindeleben beaufsichtigt, Arbeiten in der Gemeinde verteilt und in der Kirche besondere Plätze belegt, um von dort aus die Gottesdienstbesucher zu beobachten?

Auch hier hilft wieder ein Blick in die Kirchengemeindeordnung: Demnach hat der KV die Aufgabe, strategische Fragen der Gemeindeentwicklung, wie das Profil der Kirchengemeinde, Schwerpunktsetzungen und Kooperationen festzulegen. Vor allem durch Personalentscheidungen bei Pfarrstellenbesetzungen und bei der Anstellung kirchlicher Mitarbeiter werden Weichen für die Gemeindeentwicklung gestellt.

Der KV entscheidet über die Gestaltung der Gottesdienste, fördert das geistliche und praktische Gemeindeleben und trägt Verantwortung für den Kontakt zu allen Gemeindegliedern (z.B. durch Herausgabe des Gemeindebriefs), er entscheidet, wie evangelisch sein vor Ort mit Leben gefüllt wird, kümmert sich um die Gewinnung und Motivation ehrenamtlicher Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, stärkt die Einheit der Gemeinde und arbeitet bei Konflikten auf Lösungen hin. Der KV hat Verantwortung für die Gebäude der Kirchengemeinde, sowie für Kindertagesstätten und diakonische Einrichtungen, die im Besitz der Gemeinde sind. Er verwaltet das Vermögen der Gemeinde (Haushaltsplan, Erhebung des Kirchgeldes) und entscheidet über die Verwendung ortskirchlicher Kollekten. Zu Bewältigung und Erfüllung dieser umfangreichen Aufgaben werden Ausschüsse gebildet (z.B. für Finanzen, Bauen, Feste, Öffentlichkeitsarbeit) und entsprechend kompetent besetzt.

In jährlichen Gemeindeversammlungen und im Gemeindebrief informiert der KV über seine Tätigkeit und die Sitzungen sind in der Regel öffentlich. Gäste willkommen!

Obwohl es schon zu biblischen Zeiten gewählte Vorsteher, Älteste (griechisch Presbyter – daher wird das Gremium in manchen Landeskirchen Presbyterium genannt) gab, ging diese Urform kirchlicher Demokratie bald wieder verloren. Es wurde nicht mehr gewählt, sondern berufen und aus dem Presbyter wurde der Priester.

Erst mit der Entdeckung des Priestertums aller Gläubigen in der Reformationszeit flammte der Gedanke der Mitbestimmung durch die Laien wieder auf. Aber auch dies hielt nicht lange, weil der jeweilige politische Machthaber auch das Oberhaupt der Kirche war, bei allen gemeindlichen Angelegenheiten über ein ihm unterstehendes Konsistorium mitredete, die Pfarrer bestimmte und die finanzielle Ausstattung regelte.

Mit den politischen Umbrüchen zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurden in allen bayerischen evangelischen Kirchengemeinden Kirchenvorstände eingeführt, die freilich immer noch von der Obrigkeit gewählt wurden. Ihre Aufgabe war vor allem die Ver-mögensverwaltung.

Analog zur Politik hatten Frauen erst ab 1919 nach und nach aktives und passives Wahlrecht für den KV. In Bayern dauerte es z.B. bis 1958, bis Frauen auch in die Landessynode gewählt werden konnten und damit den Männern gleichgestellt waren.

Nach der Trennung von Kirche und Staat nach dem Ersten Weltkrieg 1918 und vor allem in den Auseinandersetzungen mit den Deutschen Christen im Dritten Reich begannen viele Kirchenvorstände, ihre Aufgaben und Befugnisse umfassend zu erweitern und das Gemeindeleben in allen Belangen selbstbewusst zu gestalten – ähnlich den Ältesten der Urgemeinde. Das ist bis heute so geblieben.

Alexander Schöttl
Quelle: U.a. www.kirchenvorstand-bayern.de