UNTER UNSEREM DACH – Geistlich vereint – Paul-Gerhardt Geschichte

Wussten Sie eigentlich, dass Paul-Gerhardt am Anfang gar kein eigenes Dach hatte, 40 Jahre namenlos war und dass das jetzige Dach nicht das erste ist?

Aber der Reihe nach.

Ab 1903 trafen sich die ersten evangelischen Laimer – hauptsächlich Bahnbedienstete, die in der Eisenbahnersiedlung südlich des Laimer Platzes wohnten und im Laimer Rangierbahnhof beschäftigt waren – im neuen Schulhaus an der Fürstenrieder Straße zu Bibelstunden (typisch Paul-Gerhardt, könnte man anmerken). Nach zehn Jahren wünschte man sich schließlich auch evangelische Gottesdienste in Laim, möglichst unter eigenem Dach.

Interim, erste evangl. Kirche Laim
erste evangelische Kirche Laim, heutiges Interim

Dazu wurde im April 1913 im Eisenbahnerheim (heute Dalma und August) am Laimer Platz der Protestantische Kirchenbauverein München-Laim gegründet. Diesem gelang es noch im Gründungsjahr durch ein gewagtes Finanzierungsspiel, eine ehemalige Scheune an der Agnes-Bernauer-Straße zu erwerben und durch den im Laimer Schlössl wohnenden Architekten und Städteplaner Theodor Fischer kostenlos zu einer Interims-Kirche umbauen zu lassen. Am 9. November 1913 wurde die Kirche feierlich eingeweiht, an den Gottesdienst schloss sich – auch das hat in Paul-Gerhardt Tradition – ein gemeinsames Mittagessen und ein Gemeindenachmittag im Bürgerbräu am Agricolaplatz (heute Laimers) an.

Die preußische Kaiserin Auguste Viktoria im fernen Berlin stiftete das silber-ne Altarkreuz. Die Stadt München wiederum hielt die Trambahnfahrer an, am Sonntag während der Gottesdienstzeit die Strecke vor der Kirche stromlos zu befahren und auf unnötige Glockenzeichen zu verzichten, um die Gottesdienste nicht zu stören. Das waren noch Zeiten …

1921 wurde Laim Tochterkirchengemeinde von St. Matthäus in der Innenstadt und die Gemeindeglieder wählten ihren ersten Kirchenvorstand. 1925 erhielt die Kirche ihre erste Orgel und im gleichen Jahr erwarb die Gemeinde einen Bauplatz für eine neue, größere Kirche auf dem Gelände der heutigen Lukasschule.

Aufgrund der stetig wachsenden Seelenzahl wurde die Gemeinde 1931 exponiertes Vikariat und schließlich am 18. Februar 1936 als Evangelisch-Lutherisches Pfarramt München-Laim endlich selbstständig. Damit der neue Pfarrer auch ein Dach über dem Kopf hatte, wurde ein Pfarrhaus in der Stadtlohnerstraße erworben, das sich heute noch in kirchlichem Besitz befindet.

Was noch fehlte, war ein Name: Am Kantate-Sonntag 1942 wurden Kirche und Pfarramt auf Wunsch der Gemeinde als erste in Bayern nach Paul Gerhardt benannt. Mitten im Zweiten Weltkrieg sollte die Person des Pfarrers und Liederdichters, der selbst zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges lebte und starke Glaubenslieder schrieb, den Laimern Trost und Vorbild sein. Ganz dazu passend wurde unmittelbar nach Kriegsende, im Herbst 1945, der Paul-Gerhardt-Chor unter der Leitung von Adolf Hartmut Gärtner gegründet – die bis heute älteste und größte Gemeindegruppe und ein Aushängeschild über Laim hinaus.

Kirche und Pfarrhaus waren von den Bomben des Zweiten Weltkriegs verschont geblieben, aber die Not vor allem in den sieben Laimer Flüchtlingslagern stellte die Gemeinde vor große Herausforderungen, die mit intensivem diakonischen Einsatz gemeistert wurden.

16.09.1956 Einweihung unserer Kirche

Bereits vor dem Krieg hatte es Pläne für einen Kirchenneubau bzw. eine Vergrößerung der bestehenden Kirche gegeben. Durch das enorme Wachstum der Gemeinde auch aufgrund der vielen Flüchtlinge (1930: 1.010, 1950: 6.250 Gemeindeglieder) wurde der Bau unumgänglich. Nach einem Architektenwettbewerb von 1953 wurde Professor Johannes Ludwig mit der Ausführung des Baus vom Kirchenvorstand beauftragt.
An Christi Himmelfahrt 1955 fand die Grundsteinlegung auf dem neuen Bauplatz an der Mathunistraße statt, die Einweihung am 16. September 1956 war ein großes Freudenfest für die Gemeinde. Die alte Kirche wurde als Tischtennishalle verpachtet, später an die Stadt verkauft und verfiel zunehmend. Ihr drohte aufgrund einer geplanten Verbreiterung der Agnes-Bernauer-Straße der Abriss, was aber verhindert werden konnte. Heute ist es das beliebte Kulturzentrum Interim (allerdings ohne Turm).
Die Gemeinde hatte nun endlich ein neues, weites Dach über dem Kopf und auch einen großen Gemeindesaal unter der Kirche. 1964 und 1967 entstanden die beiden Pfarrhäuser neben der Kirche, 1969 bekam die Kirche die jetzige Orgel, die das Instrument aus der Vorgängerkirche ablöste. Und im gleichen Jahr konnte das Jugend- und Gemeindehaus an der Valpichlerstraße eingeweiht werden.

Ende der 1960er Jahre erreichte die Gemeinde mit ca. 14.000 Gemeinde gliedern ihren Höchststand, inzwischen gab es 3 Pfarrstellen und einen Diakon. Die zu der Zeit sehr konkreten Pläne eines Gemeindezentrums mit Pfarrwohnung und Kindergarten an der Heinrich-Heine-Straße wurden letztlich nie realisiert – der heutige Gemeindestützpunkt in der Justinus-Kerner-Straße ist seit 1999 bescheidener Ersatz dafür.

Unter Pfarrer Friedrich-Wilhelm Künneth (1977-1998) öffnete sich die Gemeinde der geistlichen Erneuerungsbewegung und erlebte eine starke Zunahme der Gottesdienstbesucher, vor allem durch junge Menschen. Der mit Band und moderner Lobpreismusik gestaltete Spätgottesdienst und nicht zuletzt die seit 1978 in Paul-Gerhardt beheimatete Agape-Gemeinschaft machten die Gemeinde weit über ihre Grenzen hinaus bekannt. Das äußere Wachstum zeigte sich in der Erweiterung des Gemeindehauses 1998, im Bau des Aufzugs 2007 (beides aus Eigenmitteln finanziert) und in der aufwändigen Sanierung der seit 2001 unter Denkmalschutz stehenden Kirche in den Jahren 2011-2014.

Pfarrerinnen und Pfarrer, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kamen und gingen – es ist hier nicht der Platz, alle aufzuzählen und zu würdigen, die hier mitgebaut haben. Und auch wenn heute die Zahlen kleiner geworden sind und die Gemeinde nur noch halb so groß ist wie einst: Unter dem Dach von Paul-Gerhardt haben in all den Jahren unzählige Menschen aus Nah und Fern eine geistliche Heimat gefunden. Und sie werden es auch in Zukunft tun, wenn Jesus Christus – wie auf der Kirchentür dargestellt – der Steuermann der Gemeinde bleibt.

Alexander Schöttl

Artikel aus dem Gemeindebrief Frühjahr 2025, dort finden Sie auch weitere Artikel zu dem Thema.