GEMEINSAM GLAUBEN – Der christliche Glaube – Privatsache, oder?

Es gibt Gespräche, an die erinnert man sich noch nach Jahren und Jahrzehnten. So etwa an jenes, das ich mal Mitte der 80er Jahre abends in einer portugiesischen Kneipe geführt habe, mit einem Mann hier aus dem Münchner Raum. Als ich ihn nach seinem Glauben fragte, meinte er nur kurz angebunden: das Ganze sei so intim, intimer als das, was er mit seiner Frau im Bett mache.

Zugegeben, nicht einmal ich als Pfarrer gehe mit meinem Glauben hausieren. So was passt auch nicht zu unserer deutschen Kultur und Mentalität. Aber die Antwort dieses Herrn hat mich damals schon sehr erstaunt – und nachdenklich gemacht. Der Glaube – eine absolute Privatsache? So sehen es zumindest immer mehr Menschen in unserem Land. Glaube ist etwas so Persönliches, dass ich dazu auch keine anderen Menschen brauche. Geschweige denn die Kirche. Die Austrittszahlen sprechen eine deutliche Sprache.

Doch schauen wir uns das mit dem Glauben als Privatsache mal näher an. In der Tat: Wenn mit Glauben meine Beziehung zu Gott gemeint ist, dann ist die etwas sehr Persönliches, sehr Intimes, fast schon Geheimnisvolles. Meine Beziehung zu Gott, das ist das (Zwischen-)Ergebnis einer mehr oder weniger langen Geschichte mit ihm; sie ist geprägt von Höhen und Tiefen auf einem oft buckligen und alles andere als geradlinigen Lebensweg. Gott ist dann wie ein guter alter Freund, mit dem ich schon durch dick und dünn gegangen bin, und den ich gerne aufsuche im stillen Kämmerlein. Für diese Zwiesprache mit ihm brauche ich keine Kathedrale, und andere Menschen würden da auch nur stören. Und wenn mich jemand tadelt und sagt, Gott sei doch nicht nur in der Stille oder draußen in der Natur anzutreffen, sondern auch und vor allem in seinem Wort, dann zeige ich ihm meine zerlesene Bibel – und gut ist´s.

Aber ist das oben Gesagte wirklich gut, also ausreichend? Kein gemeinsamer, sondern ein einsamer Glaube? Ein Glaube ganz ohne andere Menschen, ohne Gemeinde oder Kirche? Wie sah bzw. sieht eigentlich Jesus diese ganze Frage? Jesus hat zu seinen Lebzeiten keine Kirche gegründet. Das geschah erst später, nach der Erfahrung von Ostern, an Pfingsten. Aber Jesus hat sehr wohl Gemeinschaft gestiftet, Glaubensgemeinschaft. Denken wir an den Kreis seiner zwölf Jünger, denken wir auch an den Kreis der 72 Jünger, der bei Lukas erwähnt wird, und nicht zuletzt an die verschiedenen Frauen, die ihm nachfolgten. Alles Menschen, die gemeinsam an ihn als den Christus glaubten und die gemeinsam mit ihm unterwegs waren.

Wer Jesus ernst nimmt, der kann also unmöglich für einen Glauben ohne Gemeinschaft plädieren. Das zeigt auch das Gebet, das Jesus seinen Nachfolgern gelehrt hat, das Vaterunser. Bezeichnenderweise beginnt es mit der Anrede Unser Vater und eben nicht Mein Vater. Bereits diese Anrede macht deutlich, dass wir keine Einzelkinder unseres Vaters sind, sondern zu unserer geistlichen Familie unzählige Geschwister gehören, Brüder und Schwestern. Und welcher Vater sieht es nicht gern, wenn seine Kinder – so unterschiedlich sie auch geraten sein mögen – miteinander spielen, lernen, lachen und weinen?!

Noch einmal: Derselbe Jesus, der von Gott immer nur als seinem Vater gesprochen hat, derselbe Jesus hatte von Anfang an auch die Gemeinschaft aller Gotteskinder im Blick, seiner Geschwister. Und wie soll denn bitte diese Gemeinschaft funktionieren, wenn wir nicht regelmäßig zusammenkommen, in seinem Namen, in seinem Sinne, in seinem Geist?

Halten wir also fest: Unser Glaube als Christen besitzt immer diese beiden Seiten: Unsere ganz persönliche Beziehung zum Vater im Himmel – und unsere Beziehung zu unseren Glaubensgeschwistern. Im Idealfall inspirieren und korrigieren sich diese beiden Seiten gegenseitig. Die Gemeinschaft mit anderen bewahrt mich und meinen Glauben davor, ins Mystisch-Spleenige abzugleiten oder irgendwann völlig einzugehen wie eine Zimmerpflanze, die weder gegossen noch gedüngt wird. Meine eigenen Glaubenserfahrungen wiederum können eine Bereicherung für andere werden – wenn ich nur bereit bin, sie zu erzählen, zu teilen, zu bezeugen.

Das war jetzt alles sehr theologisch. Muss auch mal sein. Wer es einfacher mag, der denke ganz einfach an die Fans des FC Bayern oder irgendeines anderen Vereins. Unter diesen Fans gibt es sicher auch Individualisten. Den meisten aber wird es ein natürliches Bedürfnis sein, andere Fans zu treffen. Vorzugsweise im Stadion, aber auch schon vor dem Spiel und vor allem hinterher. Zum kollektiven Feiern und manchmal auch Trauern. Wir Christen sind da gar nicht so viel anders: Wir wollen gemeinsam Gott feiern und Jesus Christus hochleben lassen: Im Gottesdienst, in unseren Hauskreisen und darüber hinaus. Wir wollen nicht nur alleine glauben, sondern gemeinsam. Und wenn Sie das bisher noch nicht ausprobiert haben, dann fangen Sie gleich damit an. Es lohnt sich. Immer.

Pfarrer Lorenz Künneth

Artikel aus dem Gemeindebrief Frühling 2023, dort finden Sie auch weitere Artikel zu dem Thema.