UNSER TÄGLICHES BROT – Darf’s auch ein bisschen mehr sein?

»Unser tägliches Brot gib uns heute«, so beten wir im Vaterunser. Schon als Kind fand ich diese Bitte komisch, weil unzureichend: Sollte ich mich etwa nur von Brot ernähren, dazu vielleicht noch einen Krug Wasser, halt wie im Knast?

Damals kannte ich noch nicht die Ausführungen Martin Luthers zu dieser Bitte. Auch er hatte seinerzeit begriffen, dass ein Mensch mehr braucht zum Leben als einen Kanten Brot. In seinem Kleinen Katechismus gibt er deshalb die folgende Erklärung:

Was heißt denn täglich Brot?

Alles, was not tut für Leib und Leben, wie Essen, Trinken, Kleider, Schuh, Haus, Hof, Acker, Vieh, Geld, Gut, fromme Eheleute, fromme Kinder, fromme Gehilfen, fromme und treue Oberherren, gute Regierung, gut Wetter, Friede, Gesundheit, Zucht, Ehre, gute Freunde, getreue Nachbarn und desgleichen.

Wenn wir uns diese lange, bunte und ziemlich altväterlich klingende Aufzählung Wort für Wort durchsehen, erkennen wir, dass der gute Martinus hier wirklich an alles gedacht hat. Bei ihm geht es tatsächlich nicht nur um das Stück Brot, sondern um jede Form von Nahrung. Er weiß um die Bedeutung von Geld und Besitz, aber auch um den Wert von Gesundheit und harmonischen Beziehungen. Aber damit nicht genug. Luther spricht auch drei Bereiche an, die aktueller nicht sein könnten, obwohl doch der Kleine Katechismus bereits im Jahre 1529 verfasst wurde.

So findet sich etwa in der Liste des Reformators die Formulierung gut Wetter. Nach einem guten Wetter sehnten sich auch damals schon die Menschen in unserem Land, weil es das böse Wetter ja auch gab, mit Überschwemmungen, Trockenheit, Hagelschlag, Missernten, Hunger für Mensch und Vieh. Das Wort Klimawandel kannte Luther zwar noch nicht, aber wenn wir heute in seinem Sinne das Vaterunser beten, dann dürfen, dann sollen wir dabei auch an die klimatische Entwicklung weltweit denken.

Auch der Friede spielt bei Luther eine Rolle – kein Wunder, denn sein Jahr-hundert war ja alles andere als friedlich, da haben wir Heutige es weit besser getroffen. Aber inzwischen wissen auch wir, dass Kriege nicht allein auf fernen Kontinenten geführt werden.

Zum täglichen Brot, für das wir nach Anleitung Jesu bitten sollen, gehört auch eine anständige Politik, die das tägliche Leben der Bürger erleichtert und nicht erschwert. Auch an dieser Stelle steht Martin Luther ganz in der Tradition des Neuen Testaments, in dem die Gläubigen immer wieder dazu angehalten werden, für die Mächtigen Fürbitte zu tun, »damit wir ein ruhiges und stilles Leben führen können«. Was damals der Kaiser in Rom war, ist heute Olaf Scholz in Berlin und Markus Söder in den Münchner Staatskanzlei! Ja, wer hätte das gedacht: Jedes Mal, wenn wir das Vaterunser beten, sind auch diese beiden und alle anderen Politiker gemeint!

Das Vaterunser ist das bekannteste und – wie ich meine – genialste Gebet der Menschheit. Und bei der Bitte um das täglich Brot geht es um eine wahr-hafte Rundum-Versorgung, die wir von unserem himmlischen Vater erflehen dürfen. Wohlbemerkt im Namen von Jesus Christus.

Pfarrer Lorenz Künneth

Der Kleine Katechismus

Als Zusammenfassung dessen, was Christen über ihren Glauben wissen sollten, verfasste Martin Luther 1529 den sogenannten Kleinen Katechismus: Darin finden sich neben den Zehn Geboten, dem Glaubensbekenntnis, dem Vaterunser, Texten zur Taufe, zum Abendmahl und zur Beichte auch kurze Erklärungen, die bis heute ihre Bedeutung nicht verloren haben.

Den Kleinen Katechismus kann man im Evangelischen Gesangbuch ab Seite 1552 (Nummer 905) finden, oder im Internet z.B. auf der Homepage der EKD (www.ekd.de) oder der Evang.- Luth. Kirche in Bayern. (www.elkb.de)

Heinrich Eber

Artikel aus dem Gemeindebrief Herbst 2023, dort finden Sie auch weitere Artikel zu dem Thema.