HEILIGER GEIST – Geist der Versöhnung

Angesichts des russischen Überfalls auf die Ukraine und des entsetzlichen Leidens vieler Menschen über Versöhnung nachzudenken, erscheint mir fast unmöglich. Wie sollen Menschen nach solchen Erfahrungen sich die Hand reichen können?

Mir wird bewusst, dass Versöhnung nicht machbar ist, sondern eine innere Haltung. Dabei muss man wohl auch über den Schatten der eigenen Verletzung springen. Vielleicht ist es sogar ein Risiko. Was, wenn der andere die angebotene Hand ausschlägt?

Gott ist selbst diesen Weg gegangen und hat sich in Jesus den Menschen ausgesetzt. Er hat den ersten Schritt getan, um die Menschheit in ihrer Distanz zu erreichen. Der Apostel Paulus fasst zusammen: »Lasst euch versöhnen mit Gott«. Das könnte auch das Modell für zwischen-menschliche Versöhnung werden. Denn auch das Vaterunser stellt einen unmittelbaren Zusammenhang her: »Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldnern«.

Ruine der Kathedrale von Coventy

Auf dem Altar der Versöhnungskirche Lechfeld, wo ich Pfarrer war, steht ein Nagelkreuz. Es stammt aus dem englischen Coventry, das 1940 von der deutschen Luftwaffe zerstört wurde. In den rauchenden Trümmern der mittelalterlichen Kathedrale haben die Gläubigen damals aus verkohlten Balken und dann aus den Nägeln des Dachstuhls ein Kreuz aufgestellt. Es sollte zum Zeichen ihrer Überzeugung und einer weltweiten Bewegung werden: »Wir wollen Versöhnung, nicht Rache!« An Orten der Versöhnung soll dieses Kreuz bis heute an den Grundgedanken der Nagelkreuzgemeinschaft erinnern, nämlich dass am Anfang der Versöhnung die Bitte an Gott steht: »Vater vergib!« Sollte nicht hinter dem Bemühen um Versöhnung vielleicht auch das Eingestehen eigener Überheblichkeit und Fehler stehen?

In den vielen Nagelkreuzkirchen, auch in Odessa und in St. Petersburg, sammeln sich auch heute Gläubige, um im Geist der Versöhnung um Frieden zu beten. Für mich gewinnt durch dieses Einstehen füreinander die abstrakte Vorstellung vom Heiligen Geist eine konkrete und heilende Dynamik.

Heinrich Eber

Versöhnungsgebet aus Coventry

Ursprüngliches Versöhnungskreuz von Coventry aus den verkohlten Dachbalken der zerbombten Kathedrale. Coventry, Mittelengland.

Alle haben gesündigt und ermangeln des Ruhmes, den sie bei Gott haben sollten.
Darum beten wir: Den Hass, der Rasse von Rasse trennt, Volk von Volk, Klasse von Klasse, Vater, vergib.
Das Streben der Menschen und Völker zu besitzen, was nicht ihr eigen ist, Vater, vergib.
Die Besitzgier, die die Arbeit der Menschen ausnutzt und die Erde verwüstet, Vater, vergib.
Unseren Neid auf das Wohlergehen und Glück der anderen, Vater, vergib. Unsere mangelnde Teilnahme an der Not der Gefangenen, Heimatlosen und Flüchtlinge, Vater, vergib.
Die Gier, die Frauen, Männer und Kinder entwürdigt und an Leib und Seele missbraucht, Vater, vergib.
Den Hochmut, der uns verleitet, auf uns selbst zu vertrauen und nicht auf Gott, Vater, vergib.

Seid untereinander freundlich, herzlich und vergebet einer dem anderen, gleichwie Gott euch vergeben hat in Jesus Christus. Amen

www.nagelkreuz.de

Weitere Artikel zu diesem Thema finden Sie auch in unserem Gemeindebrief Sommer 2022.